Die Serra Gaúcha

Da habe ich in Porto Alegre das brasilianische Portugiesisch gelernt, mich oft dort aufgehalten und es dauerte dennoch einige Zeit bis sich mein Blick auch auf das Hinterland dieses großen Ballungsraumes richtete.

Die Menschen in Rio Grande do Sul nennen sich Gauchos, ganz unabhängig davon ob sie nun auf dem Lande leben oder in der Großstadt. Es ist ein Lebensgefühl, welches insbesondere beim guten Essen, dem hier unten sehr beliebten Churrasco, zum Ausdruck kommt. Das Rustikal-ländliche ist sehr begehrt. Es dominieren bei den Souveniers Leder und knorriges Holz. Daneben gehört der Mate, wie bei den Gauchos in ganz Südamerika eben üblich, zu den viel konsumierten Getränken – er heißt hier übrigens „Chimarrão“.

– Alles für den Chimarrão –
Alles für den Chimarrao (c)– Das gefällt den Gauchos –
Gauchofreuden (c)– Gaucho Spezialgeschäft –
Alles für den Gaucho (c)– Üppiges und deftiges Essen –
Deftiges Essen (c)– Rodizio mit Picanha beliebt in ganz Brasilien –
Picanha

Mein Blick war in jener Zeit beschränkt auf die Großstadt. Mit den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und meinen fehlenden Kenntnissen von Land, Kultur und Leuten war es mir damals noch nicht möglich den urbanen Ring der Stadt zu durchbrechen, der auf mich auch nicht gerade attraktiv wirkte. Besonders die dominierende Ausfallstraße BR-116 aus Porto Alegre heraus ist nicht wirklich einladend. Sie führt am Flughafen vorbei durch die Orte Canoas, Esteio, São Leopoldo und Novo Hamburgo.

Wenn man auf der Autobahn durch diese Orte fährt möchte man schnell fort. Entlang der Autobahn befinden sich eine Vielzahl von mechanischen Werkstätten und alten Fabrikhallen, die überwiegend einen verkommenen Eindruck machen. Man bekommt den Eindruck von einem Industriegelände zum nächsten zu fahren. Passiert man die Raffinerie von Petrobras, dem brasilianischen Energieversorger, so denkt man es wäre eine eigene Stadt. Mein Interesse mehr davon zu sehen war nicht unbedingt sehr groß.

Dennoch sollte man vom Umfeld der Autobahn nicht auf die an ihr liegenden Orte schließen. Inzwischen kenne ich z.B. auch São Leopoldo recht gut und weiß, dass es sich um eine ganz nette Stadt mit viel Geschichte handelt. Ich bin gerne da, nicht nur wegen einiger Geschäftspartner, die dort ihren Sitz haben.

– Katholische Kirche von São Leopoldo –
Sao Leopoldo (2c)

Die ersten Ansiedlungen deutscher Immigranten in Rio Grande do Sul entstanden in 1824 in São Leopoldo. Der Ort ist relativ friedlich, mit einer vollständigen Infrastruktur, was Bars und Restaurants angeht. Sehr wichtig für mich ist die direkte Bahnverbindung nach Porto Alegre. Man braucht von dort ca. eine Stunde für die Fahrt hinein ins Zentrum von Porto Alegre. Flughafen und Rodoviária (Fernbusbahnhof) von Porto Alegre haben eigene Haltestationen. Das ist praktisch, wenn man, wie ich, oft diese Stationen zur Weiterreise nutzt. Außerdem sind diese Verkehrsknotenpunkte morgens mit der Bahn besser zu erreichen, als mit einem Fahrzeug auf den total verstopften Autobahnen. Die einstündige Fahrt in die Stadt kostet nicht einmal einen Euro.

Wen es einmal nach São Leopoldo verschlagen sollte, der sollte es sich nicht entgehen lassen bei der 1858 gegründeten „Sociedade Orpheu“ herein zu schauen. Während der Woche wird dort ein gutes Mittagsbuffet zu niedrigen Preisen angeboten. An einigen Wochenende gibt es Veranstaltungen, die einen guten Einblick in die Interessen der örtlichen Bevölkerung bieten.

Selbstverständlich freut man sich über alle Gäste, auch solche, die nicht Mitglied in der Sociedade sind. In der Region kennt eigentlich jeder das Lokal. Es reicht sich vernehmbar auf Deutsch zu unterhalten – schon kann man davon ausgehen angesprochen zu werden. 😉

Direkt neben São Leopoldo liegt Neu-Hamburg (Novo Hamburgo), ein Zentrum der Schuh- und Lederindustrie. Richtig spannend wird es wenn man noch weiter über Novo Hamburgo hinaus fährt. Genau da soll es hin gehen, zur Serra Gaúcha, dem Gauchogebirge. Wir müssen, ob wir wollen oder nicht, weiter auf der BR-116 fahren. Emotional möchte ich nachts auf dieser Autobahn keine Panne haben – obwohl es kaum einen Flecken geben wird, an dem einem schneller geholfen wird. Denn die Autobahn wird durchgehend videoüberwacht. In die Seitenstraßen würden mich dann aber keine zehn Pferde bringen.

Die Strecke ist gefühlt unendlich lang und das durchfahren dauert scheinbar ewig. Nach einer gewissen Zeit glaubt man einfach nicht mehr, dass es irgendwann besser werden könnte. Aber das Ende kommt abrupt. Hat man Novo Hamburgo passiert, dann ändert sich das Bild schlagartig. Hinter Novo Hamburgo verteilt sich der Verkehr auf unterschiedliche Fern- und Regionalstraßen und die BR-116, die in Canoas (Parallelstraßen mitgerechnet) noch 12-spurig war, wird zunächst 4-spurig, schlängelt sich in das Bergland, um letztlich 2-spurig weiter zu führen.

Ab da macht das Auto fahren wieder Spaß, denn es geht kurvenreich durch die Natur. Irgendwie kommt einem die Gegend bekannt vor. Man denkt unwillkürlich ans Sauerland und wundert sich dann doch wieder über die gelegentlich auftauchenden Palmen. An mehreren Stellen öffnet sich der Blick in weite Täler und grüne Landschaften. Wir sind nun in den östlichen Ausläufern des Gauchogebirges angekommen.

– Durch das Gauchogebirge –
Rota (c2)– Schöne, saubere Straßen –
Rota (c1)

Was besonders nach der Fahrt durch die Vororte von Porto Alegre auffällt ist die Sauberkeit und Frische der Natur. Tatsächlich findet sich am Straßenrand kein Müll und an einigen Stellen wird die Straße eingerahmt von Hortensien. Das sind die Pflanzen, welche in Erinnerung bleiben werden, selbst wenn man schon längst diese Region verlassen hat. Inzwischen werden sie fast überall längsseits der Straßen angepflanzt und ergeben ein herrliches Bild im Sommer.

– Hortensien säumen den Weg –
Hortensien– Auf dem Weg durch die Gauchogebirge –
Serra Gaucha

Wen wundert es da, dass vor einigen Jahren die Strecke auf der ich mich befinde zur „Rota Romântica“ (der romantischen Straße) erklärt wurde? Sie beginnt offiziell in São Leopoldo und führt entlag der uns bereits bekannten BR-116 über Nova Petropolis, Gramado und Canela nach São Francisco de Paula.

– Rota Romântica –
rota-romantica

Auch die Orte, in die man kommt machen einen ordentlichen Eindruck und sie kommen einem irgendwie vertraut vor. Fachwerk herrscht vor, wobei die Baustile verspielt und neuere Gebäude oft süddeutscher Architektur nachempfunden sind. Man spürt deutlich, dass sich hier die deutschstämmigen Immigranten niedergelassen haben.

– Einfahrt nach Nova Petrópolis –
Nova Petropolis (c)

Hier siedelten Deutsche an noch weit bevor ein Herr Blumenau in Santa Catarina seine Arbeit aufnahm. Es sind Orte, wie Nova Petropolis, Gramado und Canela, in denen gerade zur Weihnachtszeit eine besondere Atmosphäre herrscht. Aber auch Orte wie Westfalia und Teutonia machen deutlich woher der Wind (also eher die Leute) kommen.

Fährt man weiter ins Hinterland, dann wird es italienisch. Der Weinanbau beginnt die Landwirtschaft zu prägen. In den Restaurants gibt es italienische Spezialitäten und die Bodegas laden ein zu Besichtigungen und Weinprobe.

Also ich könnte tagelang durch diese Landschaft fahren und mich in den unterschiedlichen Orten umsehen. Deshalb werde ich auch dieser Region in Zukunft noch etwas mehr Zeit widmen. Schaut nur auf diese Landschaften: