Nach kurzem, aber tiefem Schlaf wachte ich auf. Das Zimmer war fremd, dunkel und durch eine Notbeleuchtung ein wenig erleuchtet. Das Fenster ließ etwas zusätzliches Licht durch, aber es blieb schummrig.
Der klapprige Schrank stand halb geöffnet und auch mein Koffer lag noch auf dem Stuhl auf dem ich ihn mit einem handbreiten Spalt hatte offen liegen lassen.
Es war für mich nichts Neues aufzuwachen und sich zunächst zu fragen wo ich denn nun jetzt wieder war. Es gab Zeiten, da musste ich morgens zuerst darüber nachdenken in welchem Land ich denn nun gerade aufgewacht sei. Hier war es einfach, denn es war keines jener Standardhotels, die überall in der Welt gleich ausgestattet sind. Da weiß man zwar sofort in welcher Hotelkette man geschlafen hat, aber eben nicht unmittelbar in welchem Land! 😉
Ich war heute in Belém am Amazonas angekommen und erinnerte mich wieder an die Anreise, den Taxifahrer und den Stromausfall. Die noch eingeschaltete Notbeleuchtung signalisierte mir, dass der Strom noch nicht wieder da war. Ich nahm mein Handy in die Hand. Es konnte noch immer kein Netz finden. Also weiterhin Blackout und keine Chance mit irgendwem in Kontakt zu kommen.
Ich hatte Hunger, so dass ich mich mit schweren Knochen erhob. Meine Klamotten klebten an mir, die Luft war irgendwie schwül, aber nicht heiß. Im Budget meiner Herberge war eine Klimaanlage nicht vorgesehen. Nicht schlimm, denn so war ich wenigstens sicher vor den vielen Bakterien und Pilzsporen, die diese Dinger in die Luft wirbeln. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand eine Klimaanlage wirklich reinigte. Stattdessen blasen die meisten durch ihre verschimmelten Kühlrippen ihre Krankheitserreger in die Luft und legen mich anschließend für mindestens eine Woche lahm.
Dem Koffer entnahm ich eine frische Hose und ein neues Hemd und verschloss ihn anschließend wieder. Das sollte verhindern, dass noch mehr Feuchtigkeit in ihn drang. Ich hatte festgestellt, dass meine Koffer bei der Abreise in den Tropen oft um fast ein Kilo schwerer waren als bei der Anreise. Da ich mich mit dem Kauf von Souvenirs und sonstigem Nippes zurückhalte führe ich das auf aufgesogene Feuchtigkeit zurück. Einbildung? Nun, ich warte auf bessere Erklärungen!
Es gab auf meiner Etage einen Waschraum, der zur Zeit leer war. Überhaupt schien sich aktuell niemand im Haus aufzuhalten. Es war absolut ruhig. Nicht mal der Verkehr von der Straße störte. Ich warf mir ein paar Hände Wasser ins Gesicht und ging zurück ins Zimmer.
Dort schaute ich mich noch einmal um und wollte dann hinaus, etwas essen bevor es dunkel würde. Immerhin fehlte mir noch jegliche Orientierung in dieser Stadt, von der ich zudem noch nicht einschätzen konnte wie sicher sie in der Nacht sein würde.
Ich legte noch ein paar technische Dinge in meinen Koffer und schloss ihn ab. Klar, dass einen Dieb so ein Koffer nicht abschrecken würde, aber mit meinem Modell reist heute kaum noch jemand. Es könnte auffallen ihn durch das Haus zu schleppen und es wäre umständlich ihn zu öffnen.
Dennoch war er kein Tresor. Wie in vielen Hotels und Pousadas hatte auch dieses Haus keinen Tresor auf dem Zimmer. Meistens verlassen sich die Häuser auf Gitter vor Fenstern und Türen, wie auch auf Videoanlagen, die auf allen Fluren montiert werden.
Ich wollte aber nicht alles im Koffer belassen und verteilte, entgegen allen Empfehlungen, weitere wichtige Dinge in den vielen Taschen meiner Bekleidung. Meine Kamera steckte ich in eine einfache Einkaufstüte. Da ich an diese einen Stick montiert habe, kann ich das im Notfall wie einen Hammer einsetzen. Was macht schon den Unterschied zwischen einer zerstörten oder geraubten Kamera aus? Allerdings sollte man nie vergessen dass der Mann mit dem Revolver immer Recht hat! 😉
Dann verließ ich das Zimmer, verriegelte die Tür und ging hinunter. Das Haus war weitestgehend leer und ich dachte noch so bei mir, dass es niemandem auffallen würde, wenn da einer mit meinem Koffer in Seelenruhe das Haus verlassen würde. Bis ich hinter mir ein freundliches „Até mais“ (bis später) hörte.
Auf dem Anhänger meines Zimmerschlüssels stand nur eine Nummer. So behielt ich ihn bei mir. Er sollte nicht an der Wand hängen und Fremden signalisieren welches Zimmer gerade leer war.
Durch Druck auf einen Knopf ließ sich das Tor am Gitter von innen öffnen und ich schritt auf den schmalen Fußweg an der Straße. Da war ich unvermittelt wieder mitten drin in der Hektik der Stadt. Obwohl, es war nur eine einspurige Einbahnstraße, in der sich aber zur Zeit die Autos gegenseitig anzuschieben schienen.
Keine zwanzig Meter brauchte ich, um zur nächsten Hauptverkehrsstraße zu kommen. Hier herrschte das totale Chaos. Der Stromausfall hatte auch alle Ampeln abgeschaltet. Die Fahrzeuge blockierten sich gegenseitig. Dennoch, die Leute blieben relativ ruhig und nur wenige hupten. War das jetzt der Ausnahme- oder der Normalzustand?
Ich ging die Straße hinunter in Richtung auf das Wasser zu, denn ich erinnerte mich, dass wir mit dem Taxi aus der Richtung gekommen waren. Dann erblickte ich gegenüber etwas, das wie eine Einkaufsstraße wirkte. Durch den stehenden Verkehr ging ich hinüber zur anderen Straßenseite.
Dort angekommen betrat ich die Straße. Es war keine ausgewiesene Fußgängerzone, aber dennoch weitestgehend autofrei. Offenbar bevorzugten es die Autofahrer die anderen Hauptstraßen zu nutzen statt sich hier in diese engen Straßen hinein zu begeben und durch sie zu zwängen.
– Die Läden werden mit Handkarren beliefert –
Ich war in der Sua Santo Antônio. Tatsächlich reihte sich nun ein Kaufhaus an das nächste. Sie wurden betrieben, wie ich es bereits aus anderen brasilianischen Orten kannte. Zumeist handelte es sich um Läden, die ihre Fronten, wie Garagentore öffneten und auch innen wie lange strukturlose Hallen wirkten. Die Gänge sind dabei meistens so ausgerichtet, dass sie von der Straße direkt hinein und bis zum Ende der Hallen führten. So sind sie leichter von außen einzusehen, denn auf dem Bürgersteig davor standen Wachleute, die nicht nur die Ausgänge, sondern auch das Innere genauestens beobachteten.
– Ladeneinsichten –
– Nach der ersten Querstraße sind auch die Fußwege belegt –
Unterlegt wurde das Ganze mit Musik und Werbesprüchen, die über verschiedene Lautsprecher zum Eintritt in die Läden und zum Kauf animieren sollen. Es hatte etwas von Kirmes, dieses Treiben. Aber die Straßen waren nicht so voll, als dass sich die Geschäfte gegenseitig überbieten mussten.
Auffallend waren die grellen Farben der Produkte. Egal ob es sich um Kleidung oder andere Produkte handelte. Grelle Farben dominierten und erzeugten so ein wenig Lebensfreude in einer Stadt, deren Fassaden dem Verfall preisgegeben schienen. Und um die Produkte noch transparenter vorstellen zu können hatten einige Läden sogar ihre Schaufensterpuppen auf die Gehwege gestellt.
– Puppen warten auf Kundschaft –
Im ersten Teil der Straße waren die Fußwege noch breit und frei von Ständen. Nach der ersten Querstraße änderte sich das jedoch. An den Stellen wo die Gehwege breit genug waren und die dahinter liegenden Geschäfte es erlaubten (oder erlauben mussten), waren auch mobile Stände aufgebaut. Die Anzahl dieser Straßenstände nahm sogar zu je weiter ich in die Straße hinein ging.
Spätestens ab der Stelle wo die Straße übergeht in die Rua Conselheiro João Alfredo wäre ohnehin kein Durchkommen mehr möglich gewesen, weil die Straßenstände ab da den Weg zwischen ihnen so schmal machten, dass ich mich nicht länger wunderte warum sich hier keine Autos hinein wagten.
– Verkauf in mehreren Reihen hintereinander –
Es wirkte ein wenig wie eine Kirmes, so wie sie bei uns, aber auch an Markttagen vielerorts sonst auf der Welt üblich ist. Diese Stände schienen jedoch keine einmalige Veranstaltung für einen Tag oder einige wenige Tage und auch nicht für Touristen angelegt zu sein. Es machte alles einen sehr routinierten, bzw. alltäglichen Eindruck.
– Die Fußgänger nutzen lieber die Straße –
– Schienenweg einer alten Straßenbahn an der Praça das Mercês –
– Wie soll hier eine Bahn durchkommen? –
So ging ich weiter und die Straße wurde schmaler. Irgendwann bogen auch die Schienen einer ehemaligen Straßenbahn in die Straße ein. Würde die noch fahren, dann bekämen hier sicherlich einige Stress an ihren Ständen. Denn zunehmend wurde immer mehr Raum von der Straße in Anspruch genommen.
– Die Stände stehen bereits auf den Schienen –
Ich fand diese Straße sehr interessant und auch die Auswahl der Produkte, die definitiv nicht nur auf Touristen ausgelegt waren und wenn, dann bestenfalls südamerikanische Touristen begeistert hätten. Hinzu kam eben dass die Straßenhändler überhaupt nicht aufdringlich waren, eher schüchtern und zögerlich reagierten, wenn man sich die eine oder andere Sache etwas länger betrachtete.
Auch die umgebende Kulisse gefiel mir mit den alten Häusern im Kolonialstil. Für Menschen mit Spaß an Renovierungsarbeiten sollte das hier ein Eldorado sein, dachte ich bei mir. Tatsächlich schienen sich viele Arbeiten noch immer darauf zu beschränken die Häuser warm zu sanieren, d.h. zunächst ein Feuer zu legen, damit man die Häuser anschließend abreißen kann, um neue Gebäude an der Stelle errichten zu können. Zum Glück gab es noch nicht viele Stellen, an denen ich solche „Investoren am Werk“ vermutete. Es wäre wirklich schade, wenn diese tolle Straße ihren Charme verlieren würde.
Weder Autos noch Straßenbahnen kämen hier noch bequem durch. Es gab sogar Leute, die sich ihre Tische in den Weg gestellt hatten, um daran sitzend ihre Geschäfte zu beobachten.
– Nicht nur Verkaufs-, sondern auch schon Lebensraum –
Langsam kam ich dem Ende der Straße näher und hatte eigentlich auch schon genug gesehen. Am Ende einer Seitengasse erblickte ich ein auffälliges Eingangsportal. So bog ich ab und ging darauf zu. Dort stand „Mercado Municipal“. Ich ging hinein, denn das Tor war geöffnet.
Augenscheinlich handelte es sich um den Markt der Stadt, der zudem auch wunderschön restauriert war. Leider waren die meisten Marktstände bereits geschlossen. An wenigen Ständen wurde noch aufgeräumt und geputzt.
Ohne es zu wissen hatte ich eine Lokalität entdeckt, die einmal Kandidat war, um eine der „7 Schönheiten Brasiliens“ zu werden. Die genaue Bezeichnung dieses Marktes lautet: „Mercado de Ferro ou Mercado Bolonha de Peixe“. Er wurde 1901 eröffnet und ist damit einer der ältesten Märkte Brasiliens.
Heute ist dieser Markt Teil des Gesamtkomplexes „Ver-o-Peso“, der als größter Freiluftmarkt Brasiliens gilt. Zu diesem werden die unterschiedlichsten Waren aus dem gesamten Bundeststaat Pará, meistens auf dem Wasserwege, geliefert, um anschließend entweder vor Ort verkauft oder in die ganze Welt verschickt zu werden.
Unübersehbar zählt der „Mercado Bolonha“ oder „Mercado de Ferro“, wie er auch kurz genannt wird zu den Schönheiten des Bundesstaates Pará und ist selbstverständlich ein Touristenziel. Um das Markttreiben auch noch beobachten zu können war ich für heute aber zu spät dran.
– Stahlbau aus der Zeit des Belle Epoque –
Die Metallkonstruktion besteht aus Stahl und Zink und wurde in Europa gefertigt.
– Symmetrisch aufgebaut mit vier Hallen –
– Als Ingenieure noch Künstler waren –
Während dieses gesamten Bummels durch die Innenstadt von Belém hatte ich eines vergessen, nämlich den Grund dafür warum ich meine Herberge überhaupt verlassen hatte und so langsam spürte ich ihn wieder im Bauch kneifen. Noch immer hatte ich nichts gegessen. Auch auf dem Weg hatte mich bisher nichts überzeugt. Aber es wurde langsam Zeit.
Wie war die Vorgeschichte? Hier beginnt die Erzählung!