Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts kamen viele Anarchisten, Sozialisten, Freimaurer und Kommunisten nach Uruguay und begrenzten den Einfluss der katholischen Kirche stark, so dass sie sich nicht wie in den Nachbarländern entfalten konnte. Die katholische Kirche hatte besonders in Uruguay einen schweren Stand und war großem Spott ausgesetzt.
Mir wurde berichtet, dass man beispielsweise am Karfreitag vor den katholischen Kirchen große Grills aufbaute und Unmengen Fleisch auflegte, weil man wusste, dass an dem Tag die Katholiken kein Fleisch essen durften. Man stelle sich das einmal vor nach der Messe mit hungrigem Magen durch so ein Spalier von Grills nach Hause gehen zu müssen. 😉
1917 wurde eine Verfassung verabschiedet in der Staat und Kirche endgültig getrennt wurden. Sie trat 1919 in Kraft. Seitdem ist Religion in Uruguay reine Privatangelegenheit. Religionsunterricht in Schulen gibt es nicht mehr.
Die durch die Verfassung vorgegebene Trennung von Staat und Religion geht so weit, dass es auch keine staatlichen Feiertage gibt, die einen religiösen Namen tragen. So gibt es beispielsweise auch keine Weihnachten oder Ostern. Zwar machte man das Zugeständnis einige staatliche Feiertage so festzulegen, dass sie mit den wichtigsten christlichen Festen zusammen fallen, denn immerhin bestünde das Risiko, dass an diesen Tagen mehr als die Hälfte der Uruguayer wegen der Feste der Arbeit fernbleiben könnte. Aber diese Feiertage heißen anders.
So gibt es statt Weihnachten den Tag der Familie (Día de la Familia), statt der Heiligen Drei Könige feiert man den Tag der Kinder (Día de los Niños oder Epifanía) und selbstverständlich ist die Woche vor Ostern nicht die in allen anderen spanischsprachigen Ländern übliche „Semana Santa“, sondern die Woche des Tourismus (Semana del Turismo).
Dennoch galt Uruguay noch lange nach Verabschiedung der Verfassung als katholisches Land und selbst heute noch rechnet das CIA-Fact-Book 47,1% der Bevölkerung dem katholischen Glauben zu, sowie weitere 11,1% zu anderen christlichen Glaubensrichtungen.
Im Umgang mit den unterschiedlichen Glaubensrichtungen sind die Bürger Uruguays sehr tolerant, auch zwischen den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, zu denen neben dem Katholizismus vorwiegend auch evangelische, jüdische und zahlreiche mennonitische Gemeinden gehören. Aber auch verschiedene Sekten verbreiten heute u.a. über eigene Rundfunkstationen und Internet ihren Glauben.
Interessant für Europäer sind außerdem die Glaubensrichtungen mit afro-brasilianischem Hintergrund, die so in Europa eher unbekannt, aber vor allem in Brasilien weit verbreitet sind. Die meisten von ihnen sind synkretistisch, verbinden also katholischen und afrikanischen Glauben in der Weise, dass afrikanischen Göttern die Namen von katholischen Heiligen gegeben werden.
Eingeführt und praktiziert wurde diese Glaubensrichtung zuerst von afrikanisch-stämmigen Sklaven in Brasilien. Da nun jeder ihrer afrikanischen Götter sowohl den afrikanischen Namen behielt als auch den Namen eines katholischen Heiligen hinzu bekam konnten sie nach außen hin katholischen Glauben demonstrieren, aber nach innen weiterhin ihre afrikanischen Götter anbeten. 😉
Heute finden solche synkretistischen Glaubensrichtungen in allen Bevölkerungsschichten Uruguays Zulauf. Besonders stark ist dieser aber dort, wo man eher die „benachteiligte Bevölkerung“ vorfindet, wie die ärmere Bevölkerung, Homosexuelle und Transvestiten. Letztere erfreut, dass sie in diesen Gemeinschaften keine sexuelle Diskriminierung fürchten müssen.
Es wird geschätzt, dass es alleine in Montevideo über 1000 solcher Glaubensgruppen gibt und verteilt über das Land ein Vielfaches davon. Beliebt und eine große Anhängerschaft hat die Meeresgöttin Yemanjá. Um ihre Anbetung zu ermöglichen wird am 2. Februar jeden Jahres sogar das Programm des Karnevals für einen Tag unterbrochen!